Dienstag, 5. Juli 2011

Google+ macht Picasa zum GMail der Onlinefotoalben

Es kommt nur noch selten vor, aber manchmal stößt man noch auf sie: Die Nutzer von eMaildiensten wie web.de, bei denen man ein Mailkonto mit Größenbeschränkungen von wenigen Megabyte (kein Tippfehler) erhält. Dann fühlt man sich wie aus der Zeit gefallen, ist man doch inzwischen seit mehr als einen halben Jahrzehnt an Gratispostfächer mit vielen Gigabyte Speicherplatz gewöhnt. Es ist an dieser Stelle wert sich noch einmal daran zu erinnern wie es zu diesem explosionsartigem Wachstum kam, war es doch bis 2005  Gang und Gäbe nur wenige Megabyte große Postfächer zu haben: 

Der ‘Aprilscherz’ GMail

Der Anstoß wurde hier von Google mit der Einführung von GMail gegeben. GMail bot am Anfang 1 GB Speicherplatz, eine damals so ‘unvorstellbare’ Größe, dass die zufällig auf den 1. April 2004 gefallene Ankündigung des Dienstes zunächst für einen Aprilscherz gehalten wurden. Sieben Jahre später haben die meisten Freemailanbieter nachgezogen, auch wenn GMail mit heute ca. 7,6 GB Speicherplatz weiterhin einen der umfangreichsten Speicherplätze anbietet.

ScreenShotGMail

Es ist auch für Vielmailer relativ schwierig dieses Volumen auszufüllen und mit dem Luxus des scheinbar niemals endenden Speicherplatzes gingen tiefgreifende Veränderungen in der Nutzung von eMail einher. Das gilt zumindest für mich, aber über ähnliche Beobachtungen habe ich schon oft im Netz gelesen:

  1. Es wird keine eMail mehr gelöscht. Wozu auch? Und wer weiß, wofür man sie noch einmal braucht? Der wichtigste Schalter in der GMail Oberfläche ist ‘Archivieren’, welcher eine eMail einfach in die endlose Liste der empfangenen Mails einreiht. Man denkt gar nicht mehr darüber nach ob eine eMail Wert des Aufhebens ist und spart allein dadurch schon jede Menge Zeit bei der Mailbearbeitung.
  2. Suchen statt ordnen: Durch das permanente Wachstum des eMailarchivs, welches inzwischen Jahrzehnte überspannen kann (viele haben beim Umstieg auf GMail ihre Archive von anderen Adressen mitgebracht) wird das Suchen wichtiger. Es ersetzt das sinnlos gewordene Kategorisieren, Sortieren und Eintüten in hunderte von Ordnern, welches wohl jedeR einmal am Anfang seiner oder ihrer Mailkarriere versucht hat. Und gescheitert ist. Oder irgendwann das Fazit zog, dass Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis stehen. In GMail kann man eMails kategorisieren, aber die Nutzung der Suchfunktion ist unendlich viel effizienter.

Natürlich macht die Großartigkeit von GMail mehr aus als nur das reine Speichervolumen. Aber das war es, was damals die eigentlichen Sensation bei der Einführung war. Und möglicherweise stehen wir nun wieder an einer ähnliche Schwelle, nur dass es dieses Mal um die Verwaltung von Bildern im Netz geht. Und möglicherweise sind die zu erwartenden Veränderungen in unserem Verhalten genauso umfassend, wie es bei der eMail war.

Google+

Erst vor wenigen Tagen hat Google sein brandneues Projekt Google+ gestartet, welches gemeinhin als nächster Versuch eines Einstiegs in die sozialen Netze und damit als Konkurrenz zu Facebook und Twitter angesehen wird. Der Fokus der Diskussion liegt heute meist noch auf neuartigen Funktionen wie dem Gruppenvideochat, aber das eigentlich spannende sind die Veränderungen, die mit Google+ an dem bisher etwas angestaubt wirkenden Bilderdienst Picasa vollzogen worden sind:

Faktisch unbegrenzter Bildspeicherplatz im Netz

Bisher schon konnte man Bilder im Gesamtvolumen von 1 GB hochladen, danach musste weiterer Speicherplatz von Google gemietet werden. Anfang 2011 gab es die erste Änderung: von da an zählten Bilder mit einer maximalen Seitenlänge von 800 Pixeln nicht mehr auf dieses Quota. Solche Bilder sind allerdings nur für einige Darstellungen im Web geeignet und kein Ersatz für eine Originaldatei.

Mit dem Start von Google+ hat Picasa zum einen die sehr wichtige Funktion für das Teilen und Veröffentlichen von Bildern erhalten. So ist es mit wenigen Klicks und in Sekundenschnelle möglich aus einen speziellen Album (den Instant Uploads oder Sofort-Uploads) heraus Bilder online zu stellen.

Wichtiger ist aber die Erhöhung der Schwelle bis zu der nun Bilder nicht mehr unter das Quota fallen: Dies sind nun satte 2048 Pixel. Damit sind Bilder bis zu einer Größe von 2.048 * 2.048 = 4.194. 304 Pixeln plötzlich unbegrenzt speicherbar! Bei mir hat dies zum Beispiel dazu geführt, dass nach meiner Freischaltung für Google+ mein schon halb volles Picasa Konto nun nur noch einen Füllstand von 17% aufweist.

ScreenShotGooglePlusUpload

Und da 2048 Pixel für heutige Bildschirmgrößen völlig ausreichend sind kann man nun tatsächlich ernsthaft in Erwägung ziehen sein komplettes Bildarchiv (völlig gleichgültig, wie groß es ist!) in hoher Qualität online abzulegen. Google macht den Upload einfach: Wenn man über Google+ die Bilder hochlädt werden sie automatisch skaliert. Man kann natürlich weiterhin die Picasa Desktop Software nutzen, allerdings bietet diese zur Zeit noch keine Skalierung auf den Wert von 2048 an, sondern nur auf 1600.

Automatischer Upload vom Smartphone

Eine weitere revolutionäre Idee ist bereits in der Android App von Google+ verwirklicht: Diese kann alle auf dem Smartphone neu abgelegten Bilder (aber auch alte) automatisch zu Picasa hochladen, wobei auch hier die automatische Skalierung auf 2048 Pixel gemacht wird.

Dieser automatische Upload funktioniert völlig reibungslos und im Regelfall findet man seine zuletzt geschossenen Bilder bei Wechsel an den Laptop bereits bei Google+ vor, wo man sie dann entweder veröffentlichen, bearbeiten, in andere Alben verschieben oder einfach vergessen kann.

Und an dieser Stelle schließt sich für mich der Kreis zur GMail Einführung: In den ersten Tagen der Nutzung von Google+ und der Android Bildsynchronisierung hat man noch das Bedürfnis die schlechten Bilder zu löschen. Aber je vertrauter der Anblick der automatisch einströmenden Bilder und je deutlich die ‘Unendlichkeit’ des gebotenen Speicherplatzes wird, desto weniger interessiert man sich hier – wie schon früher bei den eMails – für das Aufräumen. Und wer weis für welchen Verfremdungseffekt man ein verwackeltes Bild noch mal brauchen kann?

Es entsteht hier quasi ein automatisches Fototagebuch, zumindest dann, wenn man sein Smartphone tatsächlich zum Fotografieren nutzt. Was daraus einmal entstehen wird ist noch völlig unabsehbar. Aber es wird zumindest mein Verhältnis zu den selbst gemachten Bildern noch einmal nachhaltig verändern.

Kein vollständiges Backup

Bei alle der Euphorie muss klar sein, dass Picasa oder – wie es offenbar bald heißen wird – Google Photo kein vollständiger Ersatz für ein normales Backup der gemachten Bilder ist, da abgesehen von ganz simplen Handykameras in jedem Fall eine gewisse Verschlechterung der Bilder durch die Skalierung beim Hochladen eintritt. Um also sicher zu gehen einen vielleicht wirklich wichtigen / schönen Schnappschuss auch später noch in Postergröße entwickeln lassen zu können muss man die Bilddaten zumindest vorerst noch direkt vom Handy auf irgendeine Sicherung übertragen. Zu diesen Originaldateien kann man dann über den in Picasa sichtbaren Dateinamen gelangen.

Aber wer weis: vielleicht sind einem diese höher aufgelösten Bilddateien bald gar nicht mehr so wichtig?

Fazit

Ähnlich wie mit GMail wird Google mit Picasa in Google+ unser Verhältnis zur Onlinespeicherung von Daten erneut nachhaltig verändern. Mit vermutlich ähnlich weitreichenden Konsequenzen etwa für die Bereitschaft (und überhaupt Fähigkeit) Bilder mit Freunden und der Welt zu teilen. Es wird spannend werden zu sehen, was daraus entsteht und wie unsere Bildertagebücher in einigen Jahren aussehen werden.