Google ist für die meisten weiterhin ein Synonym für die Internetsuche, nicht umsonst ist der Begriff ‘googeln’ bereits seit 2004 im Duden enthalten. Weniger bekannt ist bisher noch, dass Google mittlerweile zu den großen Betriebssystemherstellern gehört: da ist zum einen das Smartphonebetriebssystem Android, welches in 2010 einen rasanten Aufstieg feiern konnte, und zum anderen das von Googles Webbrowser Chrome abgeleitete ChromeOS, welches Mitte 2011 endlich auf den Markt kommen soll.
In Berichten über diese beiden Betriebssystemkinder des Suchgiganten taucht immer wieder die Frage auf, warum Google eigentlich zwei oder – nach der erst kürzlich erfolgten Auftrennung von Android in eine Variante für Telefone und eine für Tablets – vielleicht sogar drei Betriebssysteme entwickelt und ob die entsprechenden Ressourcen nicht besser auf ein Produkt fokussiert werden sollten. Meist wird dabei Google nahe gelegt ChromeOS aufzugeben und alle Kräfte auf Android zu konzentrieren.
Dieser Text versteht sich als ein Versuch die Google Betriebssysteme einzuordnen, zu vergleichen, ihre unterschiedlichen Zielsetzungen und die verbindende Strategie herauszuarbeiten. Im Kern geht es natürlich auch bei dieser Aktivität von Google – wie immer - darum das Kerngeschäft der Onlinewerbung zu stärken. Vielleicht aber auch darum die IT Welt etwas einfacher – und damit in gewissem Sinne besser - zu machen.
Ganz kurz: Android versus ChromeOS
Beide Betriebssysteme werden von Google als Opensource Projekte geführt, die jeweiligen Homepages finden sich unter android.com und chromium.org. In technischer Hinsicht haben beide Systeme mit Linux eine gemeinsame Basis, aber hier enden die Gemeinsamkeiten auch schon mehr oder weniger.
Android – der kleine Roboter kämpft um die Weltherrschaft
Android ist ein zunächst für Smartphones entwickeltes Betriebssystem. Ausgelegt für kleine Bildschirmgrößen, die Bedienung per Touchscreen und geringe Prozessorleistungen konkurriert es insbesondere mit Apples iPhone Betriebssystem iOS. Die erste Version konnte man Ende 2008 auf einem Handy kaufen, der entscheidende Durchbruch kam allerdings erst in 2010 parallel mit dem insgesamt stark wachsenden Smartphone Markt. Die Analysten von Canalys schätzen die Anzahl der im 3. Quartal 2010 verkauften Android Handys auf 20 Millionen, gleichzeitig soll Android 25% Weltmarktanteil haben.
Im Gegensatz insbesondere zu Apple besteht Googles Strategie im Mobilbereich dabei nicht darin Software und Hardware herzustellen und zu vertreiben. Google überlässt vielmehr Herstellern wie Samsung, HTC, Motorola, Acer, Dell, etc. die Geräteherstellung und baut im wesentlichen darauf, dass durch die zur Verfügung Stellung der Android Plattform die eigenen Dienste wie Suche, Mail, Maps, etc. verbreitet werden. Auch betreibt Google den Android Market, die offizielle – aber nicht die einzige - Quelle für Android Apps.
Eine oft kritisierte Eigenschaft dieses Arrangements zwischen Google und den Geräteherstellern ist die sogenannte Fragmentierung. Damit wird der Effekt bezeichnet, dass nicht alle Android Geräte mit der jeweils aktuellsten Betriebssystemversion ausgestattet sind. Für die Fragmentierung gibt es unterschiedliche Gründe, letztlich sind die fehlende Motivation der Geräterhersteller und der Telekomunikationsunternehmen in Aktualisierungen bereits verkaufter Geräte zu investieren und die fehlende Durchgriffsmöglichkeit Googles wohl die wichtigsten.
Die Fragmentierung scheint allerdings Androids Aufstieg zum weltweit meistgenutzten Smartphone Betriebssystem nicht aufzuhalten. Anfang des Jahres stellte Google dann Android Version 3.0 aka Honeycomb vor, diese Version ist für Geräte mit größeren Bildschirmen – insbesondere Tablets – optimiert. Offenbar plant Google hier eine Aufspaltung von Android in zwei Zweige, was die Fragmentierung nicht verringern wird.
Neben Smartphones und Tablets dehnt sich Android auch auf andere Plattformen aus, besonders bemerkenswert hier vielleicht die Fernsehplattform Google TV. Klassische PC- oder Laptopformate mit Android sind hingegen bisher selten geblieben.
ChromeOS – die visionäre Unbekannte
Ende 2008 startete Google seinen eigenen Internetbrowser Chrome, der heute nach Analysen etwa von Netmarketshare einen Marktanteil von weltweit ca. 10% hat. Google nannte bei seinem Chrome Event am 7.12.2010 eine aktive Nutzerschaft von 120 Millionen. Dies ist ein erheblicher Erfolg für ein so junges Produkt, der noch nicht an seinem Ende angekommen zu sein scheint.
Google bewirbt seinen Webbrowser als besonders schnell und hat ein Rennen zwischen den anderen Browserherstellern insbesondere bei der Javascript Performance ausgelöst, welches heute noch anhält. Weitere Neuerungen von Chrome waren automatische und stille Aktualisierungen und sowie besondere Sicherheitsfunktionen.
ChromeOS stellt kurz gesagt die Verknüpfung eines Linux Betriebssystems mit dem Chrome Webbrowser dar, auf der sonst keinerlei Anwendungen installiert werden können. Eine genauere Beschreibung der speziellen Eigenschaften von ChromeOS habe ich schon einmal in dem Blogpost ‘Warum ChromeOS ganz groß wird’ geliefert und spare sie mir daher.
Warum habe ich ChromeOS im Titel als ‘visionäre Unbekannte’ bezeichnet? Visionär ist für die Meisten noch die Vorstellung keine Dateien und ‘echte’ Programme auf dem eigenen Rechner zu halten, selbst wenn sie selbst die meiste Zeit bereits jetzt im Netz verbringen. Google allerdings arbeitet schon seit langem daran alle relevanten Tätigkeitsfelder mit webbasierten Diensten abdecken zu können, seien es eMail, Textverarbeitung, Präsentationserstellung, Kontaktverwaltung, etc. pp.
Eine Unbekannte ist ChromeOS unter anderem deshalb, weil es grundlegende Umwälzungen sowohl in den IT Betrieben großer Organisationen wie auch im Privaten verspricht und noch nicht abzusehen ist, wie schnell und wie umfangreich diese Umwälzungen kommen werden.
Zu ChromeOS gehört der Chrome Web Store, welcher sozusagen das Pendant zum Android Market ist, allerdings für Webanwendungen. Obwohl ChromeOS erst in Mitte 2011 auf endgültigen Geräten erhältlich sein soll ist der Web Store bereits seit Dezember 2010 online und kann im Chrome Browser verwendet werden. Er ergänzt das schon florierende Angebot an Erweiterungen für den Chrome Browser und wird spätestens seit dieser Woche von Google massiv mit Anzeigen im Internet beworben.
Google nimmt hier also offenbar einen langen Anlauf, damit ChromeOS Start gelingt. Auch der Chrome Browser wird weiterhin massiv beworben, inzwischen sogar selbst in Deutschland mit Plakatwerbung in den Innenstädten. Eine entsprechende Kampagne hat es für Android übrigens nie gegeben.
Kann es nur eines geben?
Google investiert in beide Betriebssysteme ganz massiv, wobei Android inzwischen wohl als Selbstläufer betrachtet werden kann. Bleibt nun die Frage, ob und wenn ja wie sich die beiden Angebote überhaupt abgrenzen lassen und ob es nicht reicht, nur eines der beiden Produkte überleben zu lassen. Betrachten wir daher zunächst beide Optionen der Frage, ob es nur eines geben kann:
Kann ChromeOS Android ersetzen?
Diese Frage wird eigentlich nur der Vollständigkeit halber gestellt: angesichts des gigantischen Erfolgs von Android, welches zur Zeit als einziges Smartphone Betriebssystem Apple mit seinen i* Produkten Paroli bieten kann, ist eine Aufgabe zu Gunsten ChromeOS völlig illusorisch. Vermutlich würden sich – sollte Google tatsächlich auf so eine Idee kommen – die Gerätehersteller den frei verfügbare Android Code nehmen und selbst weiter entwickeln. Auch ist ChromeOS nicht für Touchscreen Bedienung optimiert und erst recht nicht für kleine Bildschirme.
Sollte ChromeOS zu Gunsten von Android eingestellt werden?
Diese Forderung findet man immer mal wieder im Netz, ganz subjektiv gewinnt man den Eindruck sie würde insbesondere von Personen gestellt, die selbst sehr enthusiastische Android Fans sind und/oder die sich überhaupt nicht mit der Vision eines Betriebssystems anfreunden können, an dem man nicht mehr selbst herumbasteln kann. Gerade aus der Android Perspektive gibt es auch noch so viele Baustellen (eine der größten ist sicher der Android Market), dass eine Konzentration Googles auf diese Plattform höchst positiv wirken würde.
Das Ziel Googles mit ChromeOS sind jedoch die klassischen Domänen von Microsofts Windows Betriebssystemen - PCs, Laptops und Netbooks - Rechner also mit Tastatur, Maus und ‘normal’ großen Bildschirmen. Dies sind Geräte, die viel stärker als Smartphones und selbst Tablets für produzierende und eingebende Tätigkeiten verwendet werden und daher kaum geeignet scheinen für die Bedienung über eine Touchscreenoberfläche.
Schließlich gibt es noch ein betriebliches Argument: Mit ChromeOS wird die komplette Austauschbarkeit der Hardware zum obersten Ziel erhoben: sowohl kann ich von Rechner zu Rechner wechseln und habe immer meine Daten und Anwendungen vor mir, als auch können sich viele Personen den gleichen Rechner teilen und müssen dabei keine Vorkehrungen treffen um den gegenseitigen Zugriff auf private Daten zu verhindern.
Dies ist ein entscheidender Unterschied zu Android: Auch wenn es vergleichsweise einfach ist auf ein neues Android Gerät wieder mit den eigenen Kontaktdaten und Anwendungen zu bespielen sind die einzelnen Geräte letztlich weiterhin sehr stark personalisiert und können nicht einfach geteilt werden. Gerade in großen Organisationen ist dies ein entscheidender Unterschied in Bezug auf die Betriebskosten.
Schließlich gibt aus Sicht von Google möglicherweise noch das Argument des besseren Durchgriffs: ChromeOS wird nach allen heute bekannten Informationen keine Fragmentierung erleiden, da die Gerätehersteller keine Anpassungen daran vornehmen können und sich das Betriebssystem wie der Chrome Browser selbstständig aktuell hält. Google kann hier also ein ungebremstes Innovationstempo fahren sein.
Android und ChromeOS als zwei Elemente einer gemeinsamen Strategie
Beide Google Betriebssysteme haben damit offenbar ihre ganz eigene Daseinsberechtigung, wobei die einzige Überschneidung heute im Bereich der Tablets vermutet werden kann, auch wenn weder von Android 3.0 noch von ChromeOS bisher marktreife Tablets verfügbar sind. Der Tablet Bereich ist aber möglicherweise das Anwendungsfeld, in dem der gemeinsame Kristallisationspunkt beider Strategien sichtbar wird, und der besteht in webbasierten Anwendungen.
Google wird gelegentlich – zum Beispiel von Microsoft Chef Steve Ballmer – als ‘one trick pony’ bezeichnet, wobei dieser einzige Trick eben in dem Verdienen von Geld über Onlinewerbeanzeigen besteht. Tatsächlich ist Google auch nach seinem letzten Quartalsbericht weiterhin zum allergrößten Teil abhängig von Werbeeinnahmen. Allerdings beherrscht Google diesen seinen einzigen Trick unglaublich gut und man kann eigentlich nahezu alle wesentlichen Aktiviten des Konzerns irgendwie darauf zurückführen, diesen Trick zu stärken.
Ein entscheidender Teil von Googles Strategie scheint es dabei schon seit Jahren zu sein die Menschen länger ins Netz zu bringen, da man in Mountain View offenbar zuversichtlich ist sie dann an die eigene Suchmaschine binden zu können. Ein Beispiel sind die Google Docs:
An statt stundenlang mit Microsoft Word zu arbeiten und nie ins Netz zu gehen öffnet man hier den Browser und schreibt dort seinen Text. Damit ist man schon viel näher an die nächste Google Suche heran gekommen also zuvor. ChromeOS kann nun als Schlusspunkt dieser Strategie gesehen werden: hier ist man immer online und hat sogar eine Suchen-Taste. Selbst wenn Microsoft seine komplett Office Suite ebenfalls ins Netz bringen sollte –wozu sie zumindest in Teilen gezwungen sein werden – hat Google unabhängig vom letztlichen Erfolg seiner Google Docs gewonnen.
Ähnlich kann man die Notwendigkeit für Google herleiten Android zu produzieren: vielleicht hat man in beim Suchmaschinenriesen früher als an anderen Stellen erkannt, dass mit Apple ein Konkurrent erscheint, der in wenigen Jahren das Potential, die Möglichkeit und auch den Willen haben könnte eine hoch attraktive, aber auch komplett geschlossene Plattform in Händen zu halten, in welcher er ganz eigene Regeln für den Werbemarkt definieren kann.
Trotz des Erfolgs von Android kann man – insbesondere angesichts des bis jetzt eher vernachlässigten Android Markets – gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass Google nicht ‘ganz bei der Sache’ ist. Vielleicht ist das auch gar nicht notwendig, da sich Android ja trotzdem auf einem scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch befindet.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich Google bei ‘richtigen’ Webanwendungen einfach eher zu Hause fühlt als bei den kleinen Apps und damit kommen wir zur abschließenden These:
Der Chrome Web Store als Scharnier zwischen Android und ChromeOS
Die für mich spannendste Frage an das neue Android 3.0 ist die, wie leistungsfähig der mitgelieferte Webbrowser sein wird: ist es schon ein vollwertiger Chrome Browser? Wenn dies so ist, dann könnte der Chrome Web Store mit seinen Web ‘Apps’ ganz neue Nutzungsszenarien ermöglichen:
Als Nutzer des Chrome Browsers auf meinen Desktop PC installiere ich mir die gewünschten Web Apps in meinem Browser. Über die Synchronisationsfunktion wandern diese Apps auch gleich auf mein Android Tablet. Und wenn ich doch mal viel Tippen muss öffne ich das ChromeOS Netbook und finde dort auch alle Apps automatisch vor. Noch etwas weiter gedacht könnten sich die Web Apps auf Android 3.0 Geräten eigentlich komplett mit ‘normalen’ Android Apps vermischen.
Was sich hier also abzeichnet ist daher eine alle heutigen und kommenden Gerätearten überspannende Anwendungsplattform, die den Nutzern einen völlig bruchlosen Übergang ermöglicht. Ausgenommen sind davon nur die klassischen Smartphones mit kleinen Bildschirmen und geringer Prozessorleistung.
Die Vision geht vermutlich sogar noch weiter: Da die Apps im Chrome Web Store auf Techniken wie HTML 5 setzen sind sie vermutlich auch direkt auf Apples iPad einsetzbar und auch auf allen anderen jetzt entstehenden Tablet Plattformen dem Playbook von RIM und WebOS von HP, sofern entsprechende Browser verfügbar sind. Dies gilt natürlich auch für andere Webbrowser auf dem PC.
Gemäß der angenommenen Logik von Google, wonach es das Wichtigste ist die Nutzer überhaupt erst ins Netz zu bringen, kann ein solches Szenario nur einen Gewinn bedeuten. Und hier rundet sich für mich die Strategie von Google mit seinen beiden Betriebssystemen ab gemäß der alten Logik des getrennten Marschierens und gemeinsamen Zuschlagens.
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